[…]
Sybille Baumbach (SB): Ich würd’ gern noch auf einen Punkt kommen, weil ehm, der betrifft die Stellung der Mütter, Frauen in den Familien, und die Veränderung, die oft einhergegangen is’ ehm, nachdem die Familie emigriert war. Ehm, was Sie beiden von den Müttern erzählen, hab’ ich von vielen andern Zeitzeugen auch schon gehört, daß sie nämlich gesagt haben, die Mütter seien eigentlich so die insgesamt widerstandsfähigeren ...
Kurt Wittenberg (KW): Ham Sie von andern auch gehört, ja?
Steffi Wittenberg (SW): Ja.
SB: Ja. Ja. Und eh, ich, können Sie sich vorstellen, eh, womit eh, das eh, ...
SW: Ja.
SB: ... zusammenhängt?
SW: Ja, also Frauen werden ja schon erzogen oder wurden erzogen zur Anpassung. Die is’ viel anpassungsfähiger, ’ne Frau als ’n Mann. Aus der Erziehung her.
SB: Ja.
SW Nich'.
SB: Ja..
SW: Die wurden ja von, find’ ich, von Kind auf an eigentlich irgendwie erzogen, sich an irgendwie dem Mann anzupassen, da können sich auch den Verhältnissen besser anzupassen. Vielmehr als der Mann. Und der Mann, der hat sein’ Beruf gelernt, im Haus haben meistens nix getan.
SB: Mh.
SW: Nich’, und die Frau hat ja doch immer schon im Haus auch was getan, da mußte sie ja schon den ganzen Haushalt, das war ja schon ihr Problem, daß der Haushalt funktionierte.
SB: [unleserliches Material] Ja.
SW: Und eh, also, und der Mann, der hat diesen einen Beruf gehabt, wie dein Vater war, ihr habt das Lederwarengeschäft da gehabt, da wart ihr zwar beide drin, aber da, da war er drauf geeicht, das hat er gemacht, jahrelang. Und nun plötzlich war das nich’ mehr da, dieses Geschäft, und nun denk’ ich, ...
KW: Ja ...
SW: ... is’ es ganz schwierig für ihn gewesen, wieder was Neues anzufangen.
SB: Ja.
SW: Also, außerdem, wie war denn der Altersunterschied zwischen den beiden? Der war ja auch gar nich’ so wenig, nich’? War auch jünger, deine Mutter.
KW: Die is’ ’89, 9und ... Ja, die war 12 Jahre, war meine Mutter jünger.
SW: Ja, nich’, das sind 12 Jahre Unterschied. Die war 12 Jahre jünger.
KW: gleichzeitig, unverständlich
SW: gleichzeitig Das spielt ’ne große, das spielt noch ...
SB: Ja.
SW: Meine Mutter war 8 Jahre jünger. Das spielt auch ’ne Rolle.
[…]
SB: Das würden Sie für Ihre Mutter auch bestätigen, Frau Wittenberg, nich’?
SW: Ja, aber dies, so vom Charakter her is’ es nich’ ganz so. Mein Vater war eigentlich ’n kommunikativer Mensch. Eh, ich weiß, ich kann nur sagen, daß meine Mutter das eh, ...
Klingel im Hintergrund zu hören
KW: Der war lebenslustiger, dein Vater.
SW: Ja. Aber jetzt, ...
KW: ... als meiner, der war freundlicher.
SW: Ja, war ’n sehr freundlicher, kommunikativer, lustiger Mensch.
KW: gleichzeitig ’n freundlicher Mann war das.
SB: Ja.
SW: Also auch so mit Freunden, da war’n eigentlich beide, da war meine Mutter eigentlich mehr zurückhaltender als er. Aber wenn sie sich dann mal entschlossen hat ’ne Freundschaft, dann war das eben auch, dann wurde sie auch lebhaft. Aber trotzdem hat sie den Alltag besser bewältigt als mein Vater. Also sie war diejenige, die Initiative hatte. Er, seine Initiative war irgendwie auch ziemlich gebrochen nach eh, hier eh, nach seiner Verfolgung hin, also nachdem er Deutschland verlassen hat.
SB: Ja, ja.
SW: Irgendwie aus diesem Beruf herausgerissen, das, da hat er, da is’ er auch sprachlich gehemmt eh, gewesen. Das ähm, da konnt’ er sich halt nich’ so anpassen. Das war für ihn schwierig.
SB: Ja. Ja.
SW: Also sie ham ja dann dieses gemeinschaftliche Geschäft gehabt, und das ham sie dann beide zusammen gemacht. Meine Mutter war diejenige, aber welche, das eh, den Verkauf also besser realisier’n konnte und sicherlich auch besser organisiert hat, das Ding, das ganze kleine Geschäftchen, das war ja dann ihre Lebensgrundlage bis nachher. Davon ham sie gelebt bis dann nachher auch eben die Entschädigung kam. Das war natürlich, diese Renten ... und so weiter, das war natürlich nachher ’ne wichtige Geschichte, ...
SB: ’ne Unterstützung.
SW: ... ökonomische, ja das war so ’ne ökonomische Basis wie für viele Juden dort. Die wurden dann doch dadurch sehr viele ihrer Sorgen los. Ähm, aber im, in dem Moment, als es eben wirklich darauf ankam zu überleben, da hat meine Mutter die, mehr Initiative gehabt, es besser schaffen können.
SB: Ja.
SW: Besser organisier’n können.
SB: Hat diese Umstellung ...
SW: Mehr Ideen gehabt.
SB: ... Veränderungen gegeben innerhalb der Familie? Also daß die Rolle, sag’ ich mal, der Mutter sozusagen aufgewertet oder eine andere wurde, während die der ...
SW: Na, es ha-, es is’ eigentlich, ich weiß nich’, es is’ ungefähr eigentlich gleich geblieben.
[…]

Sybille Baumbach (SB): I would like to come to one more point, because um, it concerns the position of the mothers, women in the families, and the change that often went along with it after the family emigrated. Um, what you two say about the mothers, I've also heard from many other contemporary witnesses, namely that they said that the mothers were actually the more resilient on the whole ...
Kurt Wittenberg (KW): You've heard that from others, too?
Steffi Wittenberg (SW): Yes.
SB: Yes. Yes. And eh, I, can you imagine, eh, with what eh, that eh, ...
SW: Yes.
SB: ... Is related to?
SW: Yes, so women are already brought up to or were brought up to adapt. They are much more adaptable, a woman than a man. From the upbringing.
SB: Yes.
SW: Right.
SB: Yes.
SW: They were, I think, from childhood on, actually somehow brought up to somehow adapt to the man, because they can also adapt better to the circumstances. Much more than the man. And the man, he learned his profession and usually did nothing in the household.
SB: Mh.
SW: And the woman always did work around the house, she had to do the whole household, that was already her problem, that the household functioned.
SB: […] Yes.
SW: And eh, so, and the man, he had this one profession, like your father had, you had the leather goods business, you were both in it, but he was wedded to it, he did that for years. And now suddenly it was no longer there, this business, and now I think ...
KW: Yes...
SW: ... it was very difficult for him to start something new again.
SB: Yes.
SW: Well, besides, what was the age difference between the two of them? It wasn't so little, was it? Your mother was also younger?
KW: She's 89, 9 and ... Yes, she was 12 years younger, my mother was.
SW: Right, that's 12 years difference. She was 12 years younger.
KW:  at the same time, unintelligible SW: at the same time That plays a big, that still plays ...
SB: Yeah.
SW: My mother was 8 years younger. That plays a big part, too.
[…]
SB: You would confirm that for your mother too, Mrs. Wittenberg, wouldn't you?
SW: Yes, but this, from the character point of view, it's not quite like that. My father was actually a communicative person. Eh, I know, I can only say that my mother was eh, ...
 Ringing can be heard in the background
KW: He was more fun-loving, your father.
SW: Yeah. But now, ...
KW: ... than mine, he was friendlier.
SW: Yes, he was a very friendly, communicative, funny man.
KW:  at the same time a friendly man he was.
SB: Yes.
SW: So even with friends, both of them were actually, my mother was actually more reserved than he was. But if she decided to make friends, then she also became lively. But nevertheless she managed the everyday life better than my father. So she was the one who had initiative. He, his initiative was somehow also quite broken after eh, here eh, after his persecution, so after he left Germany.
SB: Yes, yes.
SW: Somehow he was torn out of this profession, and he was also inhibited eh, linguistically. He um, just couldn't adapt that way. That was difficult for him.
SB: Yes. Yes.
SW: So then they had this joint business, and they both did it together. My mother was the one, but eh, she was the one who was able to realize the sale better and certainly organized it better, the thing, the whole little business, that was their livelihood until later. They lived on it until the compensation came later. That was, of course, these pensions ... and so on, that was of course an important story afterwards, ...
SB: A support.
SW: ... economic, yes, that was an economic basis, as it was for many Jews there. It took care of a lot of their worries. Um, but at the time when it was really important to survive, my mother had more initiative and could manage better.
SB: Yes.
SW: She was better able to organize things
SB: Did this lead to ...
SW: She had more ideas.
SB: ... changes within the family? So that the role of the mother was, so to speak, upgraded or became a different one, while that of the ...
SW: Well, actually, I don't know, it actually stayed about the same.
[…]